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Immersion Teil 2: Wie die Reise in eine andere Welt gelingt

Bildungsrollenspiele wie Liverollenspiel oder Pen&Paper Rollenspiele leben davon, dass die Spieler*innen in eine fiktive Welt eintauchen und dort verschiedene Rollen übernehmen. Diese Art des Spiels bietet nicht nur Unterhaltung, sondern kann auch pädagogisch wertvoll sein. Ein entscheidende Größe für den Lerneffekt dabei ist die Immersion, also das Eintauchen in die Spielwelt (mehr dazu im vorangegangen Blogartikel). Im Folgenden werden wir uns mit der Frage beschäftigen, was Immersion fördert und was ihr schadet.

Immersion bezieht sich auf das Gefühl, vollständig in eine andere Welt einzutauchen und die eigene Realität für eine gewisse Zeit zu vergessen. Es ist ein Zustand, in dem man sich mit den Charakteren, der Handlung und der Umgebung des Spiels identifiziert. 

Was fördert die Immersion?

  1. Atmosphäre und Setting: Eine authentisch gestaltete Spielwelt mit realistischen Kulissen und Requisiten kann die Immersion erheblich fördern. Die Teilnehmer sollten das Gefühl haben, sich tatsächlich in der Spielwelt zu bewegen. Daher spielt die Wahl des Spielortes eine große Rolle.
  2. Charakterentwicklung: Die Möglichkeit, einen eigenen Charakter zu erschaffen, zu gestalten und ihn im Laufe des Spiels weiterzuentwickeln, kann die Immersion verstärken. Die Spieler können sich mit ihrem Charakter identifizieren und in seine Rolle schlüpfen.
  3. Interaktion mit anderen Spielern: Die Interaktion mit anderen Spielern und die Möglichkeit, gemeinsam eine Geschichte zu gestalten, fördert die Immersion. Durch die Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen Spielern entsteht ein intensives Gruppenerlebnis.
  4. Interaktion mit der Spielwelt: Die Handlungen und Entscheidungen der Spielenden rufen nicht nur die Reaktion ihrer Mitspieler, sondern auch der Spielwelt hervor. Wie reagieren die Nicht-Spieler-Charaktere als Statisten? Welche Ereignisse resultieren aus den Handlungen der Spielenden? Das Gefühl von Selbstwirksamkeit können Motivation und Immersion merklich stärken.
  5. Narrative Elemente: Eine gut durchdachte und spannende Geschichte kann die Immersion steigern. Eine fesselnde Handlung mit interessanten Wendungen und Herausforderungen kann die Spieler schnell in ihren Bann schlagen, Neugier und Handlungsbereitschaft bewirken.
  6. Klare Spielregeln: Um sich voll auf das Spiel einlassen zu können, müssen die Spielenden sich sicher fühlen können. Durch klare Spielregel können wir das emotionale Wohlergehen der Spielenden schützen, Orientierung geben, und einen ungestörten Spielfluss ermöglichen. Dazu gehören verabredete Notfall-Signale, aber auch räumlich abgegrenzte Spielräume und ein eindeutiger Anfang und Ende der In-Time- Spielphase.

Was schadet der Immersion?

  1. Technische Probleme: Technische Probleme wie schlechte Tonqualität, langsame Internetverbindungen oder fehlerhafte Requisiten können die Immersion stören. Es ist wichtig, dass die technische Ausstattung reibungslos funktioniert, um die Spieler nicht aus der Spielwelt zu reißen.
  2. Mangelnde Vorbereitung: Eine unzureichende Vorbereitung seitens der Spielleitung kann die Immersion beeinträchtigen. Wenn die Spielwelt und die Charaktere nicht gut ausgearbeitet sind oder Spielfluss ins Stocken gerät, kann es schwierig sein, sich in die Spielwelt einzufühlen.
  3. Störende Mitspieler*innen: Spielende, die sich nicht an die Spielregeln halten oder die Immersion anderer Spieler stören, können die Atmosphäre negativ beeinflussen. Es ist wichtig, dass alle Teilnehmer respektvoll miteinander umgehen und sich auf das Spiel einlassen. Auch Gespräche über Themen des realen Lebens, die außerhalb der Spielrolle liegen, die berühmten OT-Blasen gehören dazu.
  4. Überforderung: Eine zu hohe Komplexität des Spiels oder zu viele Informationen auf einmal können die Immersion beeinträchtigen. Es ist wichtig, dass die Spielleitung darauf achtet, dass die Spieler nicht überfordert werden und die Spielwelt in einem angemessenen Tempo erkunden können.

Wir sehen also, eine gut gestaltete Spielwelt, die Möglichkeit zur Charakterentwicklung, die Interaktion mit anderen Spielern, klare Spielregeln und eine spannende Geschichte sind entscheidende Faktoren, die die Immersion fördern. Auf der anderen Seite können technische Probleme, mangelnde Vorbereitung, störende Mitspieler und Überforderung die Immersion beeinträchtigen. Grundsätzlich sollten wir, als Spielleitende versuchen, Störungen möglichst zu vermeiden und die Möglichkeiten, die wir haben, nutzen, die Immersion zu fördern. Das ist tatsächlich eine anspruchsvolle Aufgabe, und es kann natürlich immer kleine Pannen oder unvorhersehbare Ereignisse geben. Aber keine Panik- nicht jede kleine Störung lässt die Immersion gleich zusammenbrechen! Machen lassen sich mit etwas Geschick sogar wieder in die Spielwelt integrieren (z.B.das Feuerzeug wird zum Taschendrachen) oder wir können versuchen, die Spielenden von einem Immersionsbruch ablenken. In der Regel haben wir den guten Willen der Spielenden auf unserer Seite, die auch bereit sind, über kleinere Störungen hinwegzusehen, und sich in der nächsten immersiven Spielphase dann schnell wieder voll in die Spielwelt hineinversetzen werden. 

Quellen und Weiterführendes:

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Gamification vs. Spielebasiertes Lernen

Zum spielenden Lernens gibt es mittlerweile eine kaum noch überschaubare Bandbreite von Konzepten und Angeboten. Insbesondere der Begriff Gamification tauch oft auf, wenn es um Lernspiele geht. Allerdings hat Gamification mit Bildungs-Rollenspielen deutlich weniger zu tun, als man zunächst annehmen würde.  

Entscheidend bei spielerischen Lernformaten ist die Unterscheidung von Gamification auf der einen Seite und Game-Based-Learning, also spielbasiertem Lernen inklusive Bildungsrollenspielen auf der anderen. Das sind quasi die beiden Pole, zwischen denen es auch verschiedene Mischtypen geben kann.

Ein Doppelpfeil mit zwei Enden. An einem Ende steht "Gamification", am anderen Ende steht "Spielebasiertes Lernen"

Gamification

Gamification bedeutet, dass Spielelemente in Kontexten genutzt werden, die eigentlich nichts mit dem Spiel zu tun haben. Es geht vor allem darum, wenig unterhaltsam wahrgenommenen Lerninhalte motivierender zu gestalten. Beispielsweise werden spieltypische Mechanismen verwendet, wie Highscores oder das „Freischalten“ weiterer Spieloptionen (Level, Werkzeuge, Waffen…) durch das erfolgreiche Lösen von Aufgaben. Spaß wird in diesem Ansatz als Belohnung für erfolgreiche Lernarbeit eingesetzt, und ist nicht als Teil des Lernprozesses vorgesehen. 

Lernende bzw. die Spielenden werden dabei nicht Teil von fiktiven Spielwelten und übernehmen keine Rollen, sondern bleiben mental im hier und jetzt und in ihrer eigenen Perspektive. Deshalb werden gamifiziere Lernprozesse oft auch nicht als Spiel definiert, weil sie zwar Spielmechaniken enthalten, aber wichtige spielerische Grundelemente fehlen.

Im Gegensatz zu spielebasierten Ansätzen wie Rollenspiele und Serious Games wird also  fiktiven Handlungsraums kreiert, in dem sich die Spielenden ausprobieren können. Es gibt keine Story, keine Rollenübernahme, und so tauchen die Lernenden natürlich nicht geistig in die Spielwelt ein, es gibt keine Immersion, kein selbst-vergessenes Spiel in dem fiktiven Szenario, wie wir es beim Rollenspiel kennen.

Bei Gamifizierten Lernformen handelt sich um ein Lernerlebnis mit Spielelementen und nicht um ein Spiel. Solche „spielifizierten“ Lernerlebnisse werden gelobt für ihre motivierende Wirkung und werden zunehmend in der Bildung genutzt.  Ganz unproblematisch ist es aber nicht: Der pädagogisch aufbereitete Grundzug des Spiels kann sehr wohl jungen Menschen negativ auffallen, was schnell zu Frust und Desinteresse führt. Gerade Jugendliche merken sehr gut, was der eigentliche Zweck des “Spiels” ist. Daher können gamifizierte Methoden das große Potenzial des spielerischen Lernens oft nicht voll ausschöpfen und der Lerneffekt fällt deutlich weniger nachhaltig aus, als bei spielebasierten Ansätzen.

Gamification basiert auf Belohnungen für erwünschtes Verhalten der Lernenden, und arbeitet daher vor allem mit extrinsischer Motivation. Die Motivation der Lernenden ist dabei darauf ausgerichtet, sich Neues nur deshalb anzueignen, um die dafür winkende Belohnung zu bekommen. Dabei besteht die Gefahr, dass sobald Belohnung entfällt, bei den Lernenden in der Regel auch kein Antrieb mehr besteht, sich noch weiter mit dem Thema zu befassen.

Im ungünstigsten Fall bekommen wir am Ende Broccoli mit Schokoladenguss. Der unangenehme Lernauftrag wird „versüßt“ durch Spielelemente, bleibt aber im Kern doch immer noch genauso wenig ansprechender Broccoli. 

Eine Zeichnung von einem Broccoli, der teilweise mit Schokolade übergossen wurde.
Broccoli mit Schokolade – eine Metapher für das Verstecken von Lerninhalten unter spaßig anmutenden Spielelementen

Die Kombination von zwei unpassenden Elementen kann beide ruinieren: Die Schokolade werden wir mit Broccoli nicht mehr genußvoll vernaschen können, und auch schokolierter Broccoli wird uns nicht mehr im sonst schmackhaften Auflauf schmecken.

Spielebasiertes Lernen

Im Gegensatz dazu steht der Ansatz des spielebasierten Lernens: Dabei wird ein Spiel als Medium genutzt, um den Lernprozess in Gang zu setzten. Meist stehen dabei bestimmte Kompetenzen oder einzelne Themen im Fokus, auf die das Spiel abzielt, statt komplette Lernpakete vermitteln zu wollen.  Beispielsweise Bildungs-Liverollenspiele  und Serious Games entsprechend einem spielebasierten Ansatz: Das Erlebnis des Spielens bleibt Mittelpunkt der Konzeption, wird aber um pädagogisch relevante Zielstellungen, Themen, und Impulse, wie zum Beispiel der Reflektion angereichert. Der Fokus liegt also klar, auf dem Lern- bzw. Spielprozess selbst, statt auf dem bloßen Ergebnis.

Spielebasierte Methoden schaffen es so, die großen Potenziale des Spiels in Lernprozesse einzubinden: Sie schaffen authentische Lernerlebnisse, in denen Menschen´von eigenen Ideen und Interesse geleitet neues Lernen, sie fördern damit auch intrinsische Motivation, also den Antrieb von sich selbst heraus neue Dinge zu lernen. Insbesondere Liverollenspiele bieten hoch interaktive Erfahrungsräume in denen die Spielenden lang anhaltende Lernerfahrungen machen können.

Fazit

Das soll nicht bedeuten, dass gamifizierte Ansätze in der Tonne landen sollten. Allerdings ist es nicht empfehlenswert, einem beliebigen Lerninhalt eine Spielsystem überzustülpen, in der Hoffnung, dass das Lernen nun automatisch Spaß machen wird. Deshalb sollten Spielelemente und Lerninhalt immer auf aufeinander abgestimmt werden, um ein stimmiges und rundes Lernerlebnis zu schaffen.

Mehr dazu:

Matthew Farber über Serious Games

https://www.edutopia.org/blog/serious-games-not-chocolate-broccoli-matthew-farber

Myriel Balzer über Larp als Lernmethode